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Corona-Untersuchungsausschuss Sitzung 9: Die Rolle der Medien

Die Sitzung fand am 13. August 2020 statt.

Einleitung

In dieser Sitzung geht der Ausschuss der Frage nach, wieso etablierte Massenmedien eine so einseitige Sicht auf die Vorgänge rund um Corona-Politik in Deutschland und im Ausland haben. Der erste Gast, ein deutscher Berichterstatter, der sich seit einigen Monaten in Schweden aufhielt, berichtet von seinen persönlichen Eindrücken und psychologischen Hintergründen. Die weiteren Gäste sind Professoren für Medienwissenschaften und liefern einen systematischen und etwas theoretischeren Blick auf die Dinge.

Teilnehmer

  • Patrick Plaga ist von Beruf Psychologe. Er ist im Mai nach Schweden gegangen, um dem seiner Meinung nach aufgeheizten gesellschaftlichen Klima in Deutschland zu entgehen. Er berichtet als Journalist seitdem aus Schweden.
  • Prof. Dr. Johannes Ludwig ist Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg unter anderem für Medienökonomie.
  • Prof. Dr. Michael Meyen ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Aussagen

Patrick Plaga aus Schweden

  • Die Dramatik in der medialen Berichterstattung ist in Schweden im Vergleich zu Deutschland nicht gegeben. Man hat sich dort gar nicht so intensiv mit dem Thema Corona auseinandergesetzt. Es ist nur noch ein Thema neben vielen anderen.
  • Obwohl Schweden eine Art Tatenlosigkeit vom Ausland unterstellt wird, wurden dort schon Ende Februar Maßnahmen eingeführt, als der größte Rest von Europa noch der Meinung war, es gäbe keine Gefahr.
  • Die Schweden vertrauen auf ihre Insitutionen. Es werden keine Berufspolitiker und Karrieren mit Eigeninteressen gesehen. Man vertraut den Experten. Es gibt keine Verordnungskultur, sondern man macht einfach das, was die Experten sagen. Herr Plaga ist der Meinung, dass man vertrauenswürdige Experten in den Medien braucht und sich die Menschen auf diese verlassen können müssen.
  • COVID wird in Schweden als Krankheit wahrgenommen, welche eigentlich nur alte Leute trifft, die eh am Ende ihres Lebens stehen. Deshalb sind Maßnahmen für Ältere auch umfangreicher als für Jüngere.
  • Nach Herrn Plagas Wahrnehmung gibt keine ausländischen Korrespondenten mehr vor Ort, was die verzerrte Wahrnehmung im Ausland erklären könnte.
  • Die schwedische Regierung darf ihre Behörden auf ihrem Fachgebiet nicht anweisen. Die Regierung und das Parlament dürfen schon Maßnahmen entscheiden. Die Behörden können aber nicht gezwungen werden eine Empfehlung herauszugeben, die als Grundlage für eine politische Entscheidung dient. Das sei ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland.
  • Das Vertrauen in Deutschland in den Staat sei niedrig aufgrund historischer Erfahrungen wie der Wiedervereinigung, den vergangenen Wirtschaftskrisen oder der Einführung der Hartz-IV-Gesetze. Die deutsche Politik sei durchsetzt von Lobbyismus und widersprüchlichen Interessen. Deshalb gebe es einen Schlingerkurs: Erst kam der Lockdown. Dann meldete sich die Wirtschaftslobby und sagte „das ist aber schlecht“. Also wurde der Lockdown wieder beendet, dafür jedoch Masken eingeführt, die zuvor noch als nutzlos bezeichnet wurden, weil das für die Wirtschaft gut ist. Herr Plaga glaubt, dass einige Menschen sich sagen, dass das so verwirrend sei, das sie die maximale Sicherheit forderten: den Lockdown, die Maske und den Abstand. Die Wissenschaft ändert sich in Deutschland mit der Politik.
  • In Schweden konnten auch Stimmen für einen Lockdown in den Medien zu Wort kommen, ohne, dass Hysterie ausgebrochen sei, oder diese Meinung gleich in eine bestimmte Ecke gestellt wurden.
  • Ein schwedischer Virologe vermutet, dass die Angst vor ansteckenden Krankheiten vielleicht genetisch im Menschen veranktert ist. Deshalb müsse man sehr verantwortungsvoll in so einer Situation mit der Angst umgehen. Es brauche nüchterne Statistiken und keine Angstmache.
  • Herr Plaga sieht in Journalisten eine besondere Risikogruppe für Angst. Denn sie seien ohnehin schon 40 Stunden in der Woche durch ihren Beruf mit Angstnachrichten konfrontiert und nicht nur in den Abendstunden vor dem Fernseher.
  • Psychologisch gesehen würden hier in den Menschen Kindheitsmechanismen wieder zum Vorschein kommen. Es gebe eine Überforderung durch sich widersprechende Informationen. Die Leute suchen sich einen Führer „durch den Dschungel“. Mit der Panikpolitik und Panikfiguren wie in Deutschland wäre es seiner Meinung nach in Schweden genauso gekommen wie überall sonst. Personen wie Drosten und Wieler vermittelten Angst in die Bevölkerung schon alleine durch ihr Auftreten.
  • Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell strahlt seiner Auffassung nach Ruhe und Besonnenheit aus und agiert als eine Art Vaterfigur in Schweden, für den es schon eine Art Fanclub gibt mittlerweile.

Prof. Dr. Johannes Ludwig

  • Von der rein psychologischen Betrachtungsweise des Herrn Plaga hält er nicht so viel, er schaut sich lieber Strukturen an.
  • Die Nachrichten von heute seien nicht von derselben Art wie vor vierzig Jahren. Der Imperativ der Aufmerksamkeit der digitalen Plattformen herrsche heute vor. Ein Sturm sei nicht mehr ein Sturm am Ende der Nachrichten, sondern schon im Aufmacher angekündigt und ganz dramatisch dargestellt.
  • Die Politik habe das auch verinnerlicht und der Journalismus treibe die Politik mit seinen Themen vor sich her.
  • Das Bundespresseamt beschäftige 500 Werbefachleute, die nur dafür da sind, die Politik der Bundesregierung positiv darzustellen. Dagegen kämen privatwirtschaftliche Medien gar nicht so leicht an.
  • Es gehe nicht mehr um Inhalte, sondern um Konflikte zwischen Personen, wer nach welchem politischen Posten giert usw.
  • Die Definitionsmacht der Massenmedien sei auch im Zeitalter digitaler und alternativer Medien ungebrochen. Corona habe uns das schmerzlich vorgeführt.
  • Diese Definitionsmacht kann niemand ignorieren. Ein alternatives Medium könne man hingegen schon ignorieren. Weil man weiß, dass jeder die Definitionsmacht sieht/hört/liest, das alternative Medium jedoch nicht.
  • Dr. Ludwig findet wir müssen als Gesellschaft darüber nachdenken, ob wir unseren Journalismus in Zukunft so fortführen wollen nach kommerziellen Gesichtspunkten.
  • Die Realität würde stündlich neu durch die Medien konstruiert, da kann man nicht seine eigenen Begriffe prägen und das „Framing“ (d.h. Einbettung von Meldungen in eine bestimmte Weltanschauung) der Nachrichten durchschauen.
  • Es gebe etwas, was er Verantwortungsverschwörung nennt: Journalisten und Politiker kommen aus ähnlichen Millieus, aus denselben Schulen, haben dasselbe Weltbild, reisen gleichermaßen herum und haben ein persönliches Verständnis füreinander. Ein Journalist, der über seine Wirkungsmacht weiß und „weiß“ was richtig und was falsch ist, der schreibt dann nichts schlechtes über die Maskenpflicht, nichts gutes über die Demonstranten usw.
  • Einem Journalisten zu sagen, dass er nicht unabhängig berichtet, treffe ins Mark und erzeuge Abwehrreaktionen. Dabei sei es klar, dass niemand unabhängig und neutral sein kann. Dieses Berufs- und Selbstbild ist falsch.
  • Falsche Berichterstattung fände wohl nur selten statt. Es werden aber Themen aber ausgeblendet, kleiner gemacht oder delegitimiert. Es wäre der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien, dass alle Positionen abgebildet werden. Stattdessen werden bestimmte Positionen als ungültig dargestellt. Menschen die sehr viel weniger Sachverstand mitbringen urteilen über Menschen wie Dr. Wodarg in einem 5-Minuten-Faktencheck.
  • Es gebe immer weniger feste Lebenszeitverträge im Journalismus. Hier fange Konformität an, da die Menschen Angst vor wirtschaftlichen Einbußen haben.
  • Die Konzentration der Medien habe noch einmal mächtig zugenommen. Journalisten orientieren sich auch daran, was andere Medien machen. Gäbe es da mehr Gegenbeispiele, würde sich vielleicht auch etwas ändern.
  • Welche Menschen sind noch bereit öffentlich etwas auszusagen? Welcher Klinikleiter würde sich gegen die Leitlinie der Berichterstattung stellen? So sei es unter Umständen schwierig selbst wenn ein Journalist so eine Gegenstimme einfachen wollte, sie auch tatsächlich zu bekommen.
  • Mit dem Maskenzwang wurde die sogenannte „kleine Öffentlichkeit“, alltägliche Begegnungsstätten, auf denen die Vorgaben der Politik einem Praxistest unterzogen werden, gestört, wenn nicht gar zerstört.

Prof. Dr. Michael Meyen

  • Dr. Meyen stimmt den Betrachtungen von Dr. Ludwig weitgehend zu.
  • Ein Qualitätsmerkmal von Medien sei die Freiheit. Und damit sei nicht nur die Meinungsfreiheit gemeint, „was darf ich sagen“, sondern die Recherchefreiheit, „wie weit kann man untersuchen, nachforschen, Informationen erarbeiten“. Diese Freiheit sei in Deutschland sehr hoch, wenn man einmal die spezielle Betrachtungsweise von „Reporter ohne Grenzen“ außer Acht lässt.
  • Daneben sei die wirtschaftliche Ebene zu betrachten. Bei den privaten Medien sei das einfach: Diese haben Anzeigenkunden. Auf diese müssen sie sehr Rücksicht nehmen. Außerdem kostet eine eigene Recherche ganz schön viel. Aus historischen Gründen gibt es Medien wie den SPIEGEL der könnte theroetisch sehr gut aufwändige Recherchen machen. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien sei es viel komplizierter. Da hätten die Menschen ein waschiges Bild, eine grobe Vorstellung. Es sind ja keine Staatsmedien, die direkt vom Staat finanziert werden. Bei Staatsmedien sei es wieder einfach. Bei „RT“ könne er das gut einordnen, was die Nachrichten sollen, sie seien das Sprachrohr der russischen Regierung. Bei öffentlich-rechtlichen MEdien in Deutschland jedoch gibt es eine angebliche Unabhängigkeit. Die Rundfunkräte, sagt man uns in der Schule, sollen irgendwie die Bevölkerung repräsentieren. Das sei aber nicht so. Sie repräsentieren die Parteien, die Kirchen und viele gesellschaftliche Gruppen kommen da überhaupt nicht vor. Bei den Lokalzeitungen haben wir scheinbar noch eine große Vielfalt. Es gibt 300 Titel. Doch wenn man genauer hinsehe, dann sind die aus ökonomischen oder Trendgründen in Gruppen zusammengeschlossen oder an Zentralredaktionen angeschlossen.
  • Lokalmedien haben eine viel größere Nähe zu den Politikern und Lokalgrößen. Diese müssten es sich gut überlegen, ob sie kritisch berichten. Bei den Überregionalen ist das nicht so schlimm, die Gefahr, dass es da Verflechtungen gibt, ist nicht so groß. Interessanterweise zeigt es sich in der Praxis aber anders. Bei den Lokalzeitungen werde tatsächlich noch recherchiert. Deren Journalisten recherchierten allerdings oft auch in ihrer Freizeit.
  • Das Rätsel hier bei „Corona“ ist, warum nun niemand entscheidende Fragen stellt. Kein Mensch berichte darüber, dass jeden Tag 600 Menschen an Krebs in Deutschland sterben. Wenn ein Airbus mit 600 Leuten abstürzt, dann würden sich alle darauf stürzen. Warum ist es so, dass wir viele Dinge als normal betrachten?
  • Niemand stelle sich die Frage, wie man es hinkriegt, dass die Freiräume, die es gibt, mehr wahrgenommen werden. Es gebe strukturelle Ungleichgewichte, die dafür sorgen, dass bestimmte Themen untergehen und andere in den Vordergrund gerückt werden.

Schlussfolgerungen

Persönlich empfand ich diese Sitzung wertvoller als zunächst gedacht. Der Blick auf die Medien in dieser intensiven Zeit bringt einige Aspekte noch einmal klarer zutage. Davon ab finde ich es jedoch mühselig noch allzu viel Zeit auf die Betrachtung der etablierten Massenmedien zu vergeuden. Wie Professor Rainer Mausfeld in einem seiner Vorträge einmal sagte:

Fangen wir kurz mit der Aktualindoktrination an. Müssen wir gar nichts zu sagen. Das kennen Sie. Die große Selbstlüge des Journalismus, dass die Medien uns ein angemessenes Bild der gesellschaftlichen und politischen Situation verschaffen ist seit mehr als hundert Jahren, so intensiv widerlegt worden - auch in empirischen Studien -, dass es eines enormen Maßes an Realitätsverlust(es) bedarf, sie überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Auch in der deutschen Gegenöffentlichkeit gibt es eine solche Fülle von guten empirischen, analytischen Studien hierzu und eine solche Fülle von Blogs; Büchern; Zeitschriften, die sich diesem Thema widmen, dass es eigentlich bedeutet eine Leiche zu fleddern, sich mit dieser Frage überhaupt noch zu beschäftigen.

Ich will sie jetzt nur abhandeln mit einem einzigen […] schönen Kriterium. Die Bundeszentrale für politische Bildung - und die lügt nicht [lachen] - gibt uns ein[e] staatlich zertifizierte Faustregel für die Unterscheidung Propaganda und Nachrichten. Wenn Sie das mitnehmen bei der täglichen Lektüre haben Sie eigentlich alles, was Sie brauchen.

„Charakteristisch für Propaganda ist, dass sie die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht darlegt und Meinung und Information vermischt.“

– Bundeszentrale für politische Bildung

Nach diesem staatlich zertifizierten Kriterium sind 90 Prozent unserer Leitmedien Propaganda. Sagt die Bundeszentrale für politische Bildung. Also das Thema können wir ganz schnell erledigen.

Rainer Mausfeld: Die Angst der Machteliten vor dem Volk. Vortrag. An Position 56 Minuten 25 Sekunden.

Ein Standardwerk hierzu wäre „Die Konsensfabrik“ (engl. „Manufacturing Consent“) von Noam Chomsky, worin ein Propagandamodell erarbeitet wird, nach welchem die Medien arbeiten. Ein neuerer Buchtitel, welches dieses Thema anschneidet ist "The Master Switch" von Tim Wu. In diesem Titel wird beschrieben, wie Staats- und Wirtschaftsinteressen die großen Medienrevolutionen ganz wesentlich beeinflusst haben und beeinflussen.

dt/corona_ausschuss/sitzung9.txt · Zuletzt geändert: 13.04.2021 20:51 von Matthias Gerstner