Und alle diese Verbrechen können ungesehen begangen werden, ja diese Bauleute als Verbrecher werden geradezu dazu animiert und aufgefordert und vor allem von den Staaten und ihren Behörden aufgefordert, die Erdoberfläche mit ihrem perversen Geistesunrat zu bedecken und zwar in einer Weise und mit einer Geschwindigkeit mit ihrer Bauscheußlichkeit zu bedecken, dass in kurzer Zeit die ganze Erdoberfläche unter diesen Bauverbrechen erstickt sein wird.
– Thomas Bernhard - Korrektur
In den Jahren zwischen ca. 2008 und 2011 wurde im Nürnberger Norden ein ganzes neues Wohnviertel auf landwirtschaftlichen Flächen des Knoblauchlands errichtet. Heute verläuft dort am nördlichen Rand die Verlängerung der Forchheimer Straße von Thon kommend mit den neuen Bushaltestellen Waldemar-Klink-Straße und Forchheimer Straße. Im Süden grenzt das Gebiet an den Zeisigweg und die Ringbahn, im Osten an den Kleingartenverein und im Westen an die Grizzlys und weitere Sportvereinsflächen. Insgesamt wurden hier rund 10 Hektar Landwirtschafts- und Naturflächen überbaut.
Die folgenden Bilder zeigen den Zustand an dieser Stelle vor diesen Eingriffen. Es sah einstmals in dieser Gegend ganz beschaulich aus. Es herrschte dort ein Empfinden von Weite, Frieden und frischer Luft. Der Geruch frischen Gemüses - der typische Knoblauchslandgeruch - drang sogar oft bis zu den Wohnhäusern in der Düsseldorfer Straße Straße, was mittlerweile leider Geschichte ist.

Blick auf das noch unbebaute Stück Knoblauchsland. Im Hintergrund die hochgeschossigen Bauten aus den 80er Jahren in der Düsseldorfer Straße. Aufnahme vermutlich aus dem Jahr 2007.

Der Weg links existiert heute zum Teil noch und verbindet den Zeisigweg mit dem Hermann-Kesten-Ring. Aufnahme vermutlich aus dem Jahr 2007.

Blick auf einen Weg in Richtung Parlerstraße nach Westen. Hier verläuft nun die verlängerte Forchheimer Straße. Das Gebäude im Hintergrund rechts ist ein erster Neubau der heute auf der Höhe Forchheimer Straße 80 liegt. Aufnahme vermutlich aus dem Jahr 2007.
Um diese Zeit tat sich vor allem ein örtlicher Bauträger - die Schultheiß-Gruppe - mit der Verbreitung moderner Gräuelarchitektur in Nürnberg hervor. Auch in diesem Fall spielte diese Gruppe eine zentrale Rolle, weshalb ich das Viertel seither immer nur als das “Schultheißviertel” bezeichne. Es folgen einige Bilder aus der Zeit der Bebauung dieser Fläche.

Erste Baugerätschaften wurden aufgestellt. Aufnahme vermutlich zwischen den Jahren 2007 und 2008.

Blick auf die Baufläche von Süden. Im Hintergrund sind die ersten neuen Häuser zu sehen. Rechts sind noch verbleibende landwirtschaftliche Flächen zu erkennen, dahinter bereits Bauvorbereitungen. Aufnahme vermutlich zwischen den Jahren 2007 und 2008.

Erste fertiggestellte Häuser in der heutigen Waldemar-Klink-Straße 17 - 21. Aufnahme vermutlich zwischen den Jahren 2008 und 2009.

Blick von Süden auf einen ersten Teil des künftigen "Ensembles". Drohend thront der Bagger. Rechts versteckt ein Info-Stand von "Schultheiss". Aufnahme vermutlich zwischen den Jahren 2008 und 2009.
Zu dieser Zeit hatte sich der vormfollendete moderne Baustil noch nicht gefunden. Es fanden noch Experimente und ein Widerstreit innerhalb der Zunft des modernen Bauens statt. Es finden sich sowohl Flachdächer als auch Giebeldächer. Hier und da ist ein Tupfer Rot eingebaut. Teilweise hat man versucht mit Milchglaselementen das schlimmste zu verstecken. Das mehrheitliche Erscheinungsbild jedoch waren jedoch bereits die schonungslosen weißen Klotzwürfel mit anthrazitenen Akzenten. Teilweise entstanden hier auch kasernenartige U-Bauten, die einen eigenen bedrückenden Charakter haben. Auf den folgenden Bildern betrachten wir einige Bauten aus diesem Viertel wie sie sich heute präsentieren.

Blick auf ein typisches Gebäude im Viertel: Weißer Würfel mit anthrazitenen Fenstern, Solar auf dem Dach. Aufnahme vom 14. Juli 2025.

Variante mit Schießscharten-Fenstern und bausteinartigen kantigen Einschnitten. Aufnahme vom 14. Juli 2025.

Blick entlang den Hermann-Kesten-Ring zur Forchheimer Straße. Die Bewohner des Viertels scheinen im passenden Stil gerne graue, schwarze und weiße Autos zu fahren. Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Blick auf eine Linie mit Reihenhäusern und vorgelagerten Garagenhof. Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Blick auf einen kasernenartigen U-Bau am Ende der Forchheimer Straße. Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Bunkerartiger Bau mit Schießscharten, Sichtbeton und grünen Raketenabschussrampen. Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Der Briefkasten bringt etwas Farbe ins Spiel. Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Erinnert mich aus irgendeinem Grund an "Zollabfertigung am Grenzübergang". Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Serie von Würfeln mit Rot. Meiner Meinung nach die Gewinner des "Wettbewerbs". Nicht zuletzt dank der Wiese im Vordergrund (Bauland!). Aufnahme vom 21. Mai 2025.

Milchglas aus Scham? Aufnahme vom 21. Mai 2025.
Wer heute durch das vollendete Viertel geht erlebt meistens eine künstliche Stille. Kaum Natur und kaum Menschen sieht und hört man. Außer wenn sich einmal ein paar Kinder zusammenfinden, die hier wohnen. Lediglich in der Forchheimer Straße herrscht durch Bus und Autoverkehr ein wenig mehr Leben, allerdings nicht unbedingt ein erhebendes.
Damit die Bewohner des neuen Viertels in der nun hergestellten Ödnis auch ein bisschen Naherholung finden können hat die Stadt Nürnberg bis 2018 rund 500.000 € ausgegeben, um einen etwa 600 Meter langen Geh- und Radweg am nördlichen und westlichen Rand des Viertels entlang des Wetzendorfer Landgrabens zu bauen. Nun … ein schöner Weg war schon vorher dagewesen. Damals war es aber keine “ökologische Aufwertung”, wie der verlinkte Bericht der Stadt Nürnberg es bezeichnet. Es war einfach nur eine alte Landstraße inmitten der Landwirtschaft.
Interessant ist auch der Blick von Oben. Das Viertel hat praktisch durchgängig grau-anthrazitene Dächer. Die Flachdächer mit Solarmodulen erinnern eher an Fabriken oder Gewerbe. Oben rechts gibt es ein paar verlorene rote Dächer. Dies sind ältere Häuser aus den 90er und frühen 2000er Jahren. Rechts fällt ein Rechteck mit braunen Dächern auf. Bauten aus den 80er Jahren, als die Menschen sich die Farbe Braun verliebt hatten.
Die Einwohnerzahl Nürnbergs ist seit den 1990er Jahren kaum gewachsen und pendelt immer um die 500.000 Einwohner. Lediglich in den jüngsten Jahren ist ein Zuwachs um ca. 25.000 Menschen zu verzeichnen, vermutlich ausgelöst durch die Zuwanderungspolitik. Dennoch muss die Stadt unaufhörlich wachsen und Gebiete wie dieses wurden und werden zugebaut. Oft wird dann eine vermeintliche Wohnungsnot als Begründung herangezogen. Gebaut werden wie in diesem Fall jedoch gerne hochpreisige Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser, für die sie heute schon mindestens eine halbe Million bis zu einer Million Euro hinblättern müssen. Und das dann auch noch für eine dieser Schönheiten, wie sie oben zu sehen sind. Sicher werden dann anderswo “billige” Unterkünfte für Menschen mit niedrigerem Einkommen in der Stadt frei.
Angesichts der Verwandlung dieser noch relativ überschaubaren landwirtschaftlichen Fläche in moderne Häßlichkeit kann man nur erahnen, wie schön der Nürnberger Norden einmal gewesen sein muss, bevor der Nordwestring und die Großbauten der 1980er Jahre angelegt wurden. Der Stadtrand wird sich damals ungefähr auf der Höhe des Nordklinikums und er Bielingplatzes befunden haben. Heute etwa einen Kilometer weiter stadteinwärts.
Ich denke nach dieser Geisterbahnfahrt braucht es ein bisschen Erholung für die Seele. Es folgt ein schönes Beispiel dafür, was auch nur zwei alte Bäume bewirken können, eine kleine Insel der Seligen hier am Ende der Claire-Goll-Straße am Rande des “Schultheiß-Viertels”. Mit dem Haus mit rotem Giebeldach im Hintergrund hat es eine besondere Bewandtnis, es ist ein “weißer Rabe”, auf den ich vielleicht ein andern Mal zu sprechen komme.

Kleine Naturinsel am Ende der Claire-Goll-Straße. Aufnahme vom 14. Juli 2025.
Hinweis: Alle in diesem Beitrag veröffentlichten Bilder sind private Aufnahmen des Autors. Ich stelle Ihnen die Bilder gerne zur weiteren nicht-kommerziellen Verwendung zur Verfügung, wenn Sie auf mich als Urheber verweisen.