Ein Land im dauernden Ausnahmezustand - ein defektes Land

Jeden Tag trauen Sie Ihren Augen nicht und trauen Ihren Ohren nicht, sagte er, jeden Tag erleben Sie den Niedergang dieses zerstörten Landes und dieses korrupten Staates und dieses verdummten Volkes mit immer größerem Erschrecken. Und die Menschen in diesem Land und in diesem Staat tun nichts dagegen, sagte Reger, das ist es, das einen Menschen wie mich tagtäglich peinigt. Die Menschen sehen oder fühlen natürlich, wie dieser Staat sich jeden Tag niedriger und jeden Tag gemeiner macht, aber sie tun nichts dagegen.

Thomas Bernhard: Alte Meister

Ein Weg, der mich kürzlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Nürnberg führte, hat mich zu diesem Artikel angeregt. Von der Deutschen Bahn pfeifen es ja schon seit Jahren die Spatzen von den Dächern: da geht nichts mehr. Mir scheint, dass auch beim innerstädtischen Verkehr der VAG immer mehr im Argen liegt. Praktisch jedes mal, wenn ich eine U-Bahn-Station in Nürnberg betrete, begrüßt mich eines dieser Laufbänder.

Wendet mach sich von dieser Laufschrift ab, erleichtert, weil man nicht betroffen ist, oder besorgt, weil man nicht weiß, wie man zum Ziel kommt, fällt der Blick auf den “Infoscreen”, eine fragwürdige Einrichtung, die dafür sorgt, dass auch U-Bahn-Reisende konstant mit Meldungen aus den Massenmedien versorgt werden. Dort trifft man auf Meldungen dieser Art:

Meine spontane Reaktion auf diesen Beitrag war ein lautes Auflachen, welches ich mir nicht verkneifen konnte. Eine staatlich zertifizierte Warnung vor dem Wind! Schamlos betreibt der Polit- und Medienzirkus im Land weiter Panikmache. Der formale Ausnahmezustand der Corona-Jahre ist vorbei. Doch es gibt genug andere Felder auf denen man dem gemeinen Bürger weiter Angst machen kann. Sei es der Feind im Außen: Putin; der Feind im Inneren: Die AfD, Rechte, Feinde der Demokratie; sei es die Natur oder der Mensch selbst: die Klima-Apokalypse.

Wer nun anstatt sich zu ängstigen, überlegt, wie er am besten in dieser Stadt vorwärtskommt und vielleicht glaubt, mit dem eigenen Auto besser dran zu sein als mit den Öffentlichen, der hat sich just an jenem Tag vielleicht auch die Augen reiben müssen. Am Verkehrsknotenpunkt Maximilianstraße, mitten auf dem Ring, ist eine unterirdische Wasserleitung gebrochen und hat ein gutes Stück der Straße zerstört, so dass man sich hier nun mehr oder weniger mit einem Loch konfrontiert sieht.

Dieser Bereich ist ohnehin schon seit Jahren mit Baustellen “gesegnet” und eine städtebauliche Mondlandschaft ohnegleichen. Der jüngste Vorfall hat dem Verkehr hier nun jedoch die Krone aufgesetzt. Keine Bombe Putins, kein rechter Terroranschlag, ja nicht einmal der Klimawandel waren hier die Täter - auch wenn die Bilder ganz gut dazu passen würden.

Jedes dieser Ereignisse hat natürlich seine nüchterne Erklärung. Oberleitungen werden gerne mal von Großfahrzeugen beschädigt. Infrastruktur kann unerwartet Schaden nehmen - oder auch erwartbar, wenn man sie jahrzehntelang vernachlässigt. Der deutsche Wetterdienst geht eben nur brav seiner Arbeit nach und die Medien wissen sonst im nahenden Sommerloch gar nicht mehr, was sie anderes melden sollen.

Die Häufung und Intensität solcher Vorfälle spricht jedoch meinem Gefühl nach eine andere Sprache. Ist es vielleicht so, dass viele Menschen einfach gar keine Freude mehr daran haben, etwas für diese Gesellschaft zu tun? Führt die von vielen wahrgenommene Verrohung des Alltaglebens zu einem Egal-Gefühl allem gegenüber? Ist die anzunehmende Traumatisierung vieler Menschen durch die Politik der vergangenen Jahre ein so großes Hemmnis, dass eine positive gemeinschaftliche Organisation nicht mehr ohne weiteres möglich ist? Oder überträgt sich gar, im spirituellen Sinne, die negative Verfassung der Menschen unmittelbar auf die Materie und führt zu einem Materialversagen?

Ganz im Sinne des Eingangszitats habe ich den Eindruck, dass die Menschen sehr wohl fühlen, dass hier etwas ganz gewaltig nicht stimmt. Aber sie tun nichts dagegen. Sie sprechen nicht einmal darüber.